Wiener Zeitung, 06.11.2021 Der Autor: Fritz Rubin-Bittmann wurde 1944 in Wien als Sohn jüdischer Eltern geboren und überlebte als „U-Boot“. Er ist Arzt für Allgemeinmedizin (2016 mit dem Berufstitel Professor ausgezeichnet) und hat zu Zeitgeschichte und Religionsphilosophie publiziert.
Auch in Wien wird wieder des Novemberpogroms 1938 gedacht. De facto begann mit der Reichskristallnacht die Shoah.
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Eine Frau liegt auf dem Boden, dahinter kniet ein Mann in Trauer. Die umgekehrte Pieta des Südtirolers Lois Anvidalfarei animiert zur „Auseinandersetzung und Begegnung mit dem unsäglichen Leid, das Menschen anderen angetan haben und antun, aber auch mit dem was im Letzten nicht zerstörbar ist: der Würde des Menschen.“ So steht es im Begleittext zur Kunstinstallation, die im November in der Ruprechtskirche, der ältesten Kirche Wiens, platziert ist.
Zeitpunkt und Ort sind wohlüberlegt. Die Pieta bildete schon den Hintergrund für die Fotos von der Trauerfeier der heimischen Spitzenpolitik in der Ruprechtskirche für die Opfer der Wiener Terrornacht am 2. November 2020, die genau in diesem Grätzl hinter dem Schwedenplatz stattgefunden hat. Und sie passt auch zum zweiten Gedenken in diesen Tagen, bei dem weiter zurückgeblickt wird in der Geschichte. Denn schräg vis-à-vis steht der Stadttempel, die einzige jüdische Synagoge in Wien, die das Novemberpogrom 1938 überdauert hat. Und am nahen Morzinplatz hatte die Gestapo ihr Hauptquartier. Am 9. und 10. November 1938 wurden allein in Wien 42 Synagogen zerstört.
Das Novemberpogrom markierte einen Wendepunkt in der nationalsozialistischen Judenpolitik. Die Gewaltexzesse, die sich in aller Öffentlichkeit ereigneten, waren Auftakt und Vorboten der „Endlösung“, der sechs Millionen Juden zum Opfer fielen. De facto begann mit der sogenannten Reichskristallnacht die Shoah. Auf Befehl Adolf Hitlers war im Sommer 1938 in München die Hauptsynagoge – ein repräsentativer Bau, den er als widerwärtig und für Deutsche unzumutbar empfand – abgerissen worden. Dieser Willkürakt hatte im darauffolgenden November zweifelsohne Signalwirkung.
Der (bereits ausgebuchte) „Gedenkachtelmarathon“ diesen Samstag ab 11 Uhr führt zu symbolischen Orten der Judenverfolgung in Wien, von der Pauluskirche am Sebastianplatz im 3. Bezirk über die Lutherische Stadtkirche im 1. Bezirk zur ehemaligen Synagoge in der Unteren Viaduktgasse im 3. Bezirk und in die Kegelgasse zur Gedenktafel an die Wiener Gesera vom 12. Mai 1421, als im Rahmen der völligen Auslöschung allen jüdischen Lebens in Österreich mehr als 200 Juden auf der Erdberger Gänseweise verbrannt wurden (Info: www.ash-forum.at).
Diesen Sonntag ab 14 Uhr lädt das Projekt „Schweigend in der Kunst und durch die Kunst begegnen“ zu einer öffentlichen Schweige-Malaktion an der Kreuzung Stumpergasse/Schmalzhofgasse/Mittelgasse. Der Ort ist kein Zufall: Adolf Hitler wohnte hier 1907 und 1908. Und eine Lichtstele in der Stumpergasse 42 markiert den Standort der beim Novemberprogrom zerstörten Stumper-Schule. In der Galerie Eisenwaren Kamp (Stumpergasse 23) gibt es eine Präsentation der beteiligten Künstler.
Am 10. November spricht Wolfgang Huber bei der „Akademie am Dom“ über seinen Vater, den 1943 ermordeten Münchner Uni-Professor und Widerstandskämpfer Kurt Huber (Info: www.theologischekurse.at).
Das Votivkino zeigt am 15. November den 2020 erschienenen Film „Liebe war es nie“ über die verbotene Beziehung einer jüdischen KZ-Insassin in Auschwitz zu einem SS-Offizier, die einander 30 Jahre später vor Gericht wieder begegnen – dazu gibt es ein Gespräch mit dem Filmproduzenten Kurt Langbein (Info: www.votivkino.at).
Judenfeindschaft und Profitgier
Die Aggression gegen Juden hatte sich mit dem „Anschluss“ im März 1938 intensiviert. In Österreich war der Antisemitismus wesentlich stärker ausgeprägt als im Deutschen Reich. Aus anfänglichen Diskriminierungen wurden dann Ausschreitungen voller Brutalität, Demütigungen, Raub und Plünderungen. Juden wurden zum Freiwild und waren der Willkür und Grausamkeit des marodierenden Mobs permanent ausgesetzt. Im Sommer 1938 gab es Übergriffe gegen Synagogen und Geschäfte sowie Hausdurchsuchungen in jüdischen Wohnungen. Der Antisemitismus war Staatsdoktrin – die Judenpolitik stand im Mittelpunkt der sozialdarwinistisch-rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus. Entrechtung, Enteignung und letztlich Eliminierung der Juden waren Konsequenz und Programm.
Verdeckt sind dabei Profitgier und Bereicherung durch Nationalsozialisten und Kollaborateure. Die Ausschaltung der Juden brachte zahlreichen Bürgern beachtliche Vorteile: Akademiker profitierten von der Entlassung jüdischer Professoren, Beamten und Lehrern; Ärzte und Apotheker entledigten sich jüdischer Konkurrenz; Studenten waren froh, jüdische Kommilitonen loszuwerden und nach dem Studium gute Positionen zu erlangen; hohe Parteifunktionäre, einflussreiche Nazis und Persönlichkeiten aus Industrie und Wirtschaft rissen infolge der Arisierungen von Fabriken, Unternehmungen, Geschäften und Immobilien jüdischen Besitz an sich. Nichtjüdische Künstler wurden über Nacht zu den einzigen Trägern deutscher Kunst und Kultur.
Die unteren NS-Schichten – insbesondere die SA-Leute waren nicht im gewünschten Ausmaß zum Zug gekommen – fühlten sich um ihren Anteil betrogen. Die Reichskristallnacht bot ihnen die Gelegenheit, Versäumtes nachzuholen. Es wurde geplündert, geraubt, gestohlen, vergewaltigt, gemordet – auch „freundliche Nachbarn“ und biedere Bürger machten mit. Die prominente Psychoanalytikerin Erika Freeman berichtet von einem Vorfall in ihrem Elternhaus am 10. November 1938: Nachbarn, die als besonders nett und höflich galten, betraten die Wohnung grußlos, nahmen Bilder, Teppiche und Antiquitäten und forderten ihre Mutter auf, am nächsten Tag die Wohnung zu übergeben. Nach dem Pogrom wurde im gesamten Deutschen Reich jüdischer Besitz in Messehallen verschleudert. Und die Käufer wussten, dass es sich um jüdischen Besitz handelte.
Göbbels, der Organisator
Äußerer Anlass des Novemberpogroms war Herschel Grynszpans Attentat am 7. November 1938. Der 17-Jährige wollte den deutschen Botschafter in Paris erschießen, traf aber Legationsrat Ernst von Rath, der am 9. November verstarb. Grynszpans Motiv war Rache für Gewalttaten an seiner Familie und die Welt auf das Elend von 17.000 polnischen Juden aufmerksam zu machen, die Deutschland über Nacht ausgewiesen hatte. Polen nahm sie nicht auf, ins Deutsche Reich konnten sie nicht zurück, und so kampierten sie im Niemandsland bei Kälte und Regen ohne Nahrung einige Tage auf dem freien Feld.
Hitler war an diesem 9. November in München bei einem Treffen der alten Kämpfer im Alten Rathaus zum Gedenken an die Gefallenen des Novemberputsches von 1923. Als er von Raths Tod erfuhr, verließ er die Versammlung und überließ Joseph Goebbels alles Weitere. Dieser organisierte mit den anwesenden NSDAP-Granden das Novemberpogrom als Ausdruck des „berechtigten Volkszornes der Deutschen gegen die Verschwörung des Weltjudentums“. Offiziell sollten sich SA, SS und NSDAP passiv verhalten und das Volk walten lassen, doch ihre Mitglieder sollten sich in Zivil beteiligen. Die SA-Rabauken ignorierten den Befehl: Sie drangen in Uniform mit Rufen wie „Juda, verrecke!“ in die Wohnungen der Juden ein und verprügelten die Menschen, viele zu Tode. Frauen wurden vergewaltigt, Hab und Gut geraubt. Der entfesselte Mob war in seiner Zerstörungswut nicht zu bremsen.
Auch in Wien wurden Handgranaten und Brandbomben in die Bethäuser geworfen, die bis auf die Grundmauern abbrannten. Für die Zuschauer war es ein Spektakel und manchmal ein Freudenfest. Benno Kern erlebte als Elfjähriger Grauen und Grausamkeit des 10. November in Wien. Wie jeden Tag ging er von der Krummbaumgasse zur Talmud-Torah-Schule in die Malzgasse – ein Gehweg von zehn Minuten -, als ihm Kinder entgegengelaufen kamen, die aufgeregt schrien: „Die SA demoliert die Schule, alles ist verwüstet!“
Vor dem Polizeikommissariat Leopoldstadt sah er zahlreiche Arrestantenwagen; in der Schule angekommen, hörte er fürchterlichen Lärm und Getöse. Die Einrichtung wurde kurz und klein geschlagen, Direktor Joel Pollak lag bewusstlos in seinem Blut. Er war – so wie auch alle anderen Lehrer – zusammengeschlagen worden, und ein SA-Mann hatte ihn mit dem Stiefel ins Gesicht getreten. Die jüdischen Kinder strömten aus der Schule, die Hitlerjugend machte mit Stöcken und Steinen Jagd auf sie. Benno rannte um sein Leben. Ein arischer Kohlenhändler trat aus dem Geschäft, stellte ihm ein Bein, er fiel, die Meute stürzte sich auf ihn und schlug auf ihn ein. Er entkam mit knapper Not. Am Ort des Überfalls ließ Benno Kern später eine Erinnerungsplakette anbringen. Und vor wenigen Wochen hat er genau dort eine von ihm aus Dank an Gott gespendete handgeschriebene Torah-Rolle (die Herstellung dauerte gut ein Jahr) segnen lassen, mit der er jene Orte des Grauens im Karmeliterviertel aufgesucht hat, an denen 1938 rund 40 Juden umgebracht wurden. Insgesamt wurden in der Shoah mehr als 64.000 österreichische Juden ermordet. An sie erinnert zusätzlich zum Mahnmal auf dem Wiener Judenplatz neuerdings auch eine Namensmauer im Ostarrichipark nahe der Nationalbank.
Feuer und Massenverhaftungen
Damals waren 90 Prozent der Wohnungen im Karmeliterviertel jüdisch; die meisten zerborstenen Fenster gehörten Juden. Benno sah Burschen mit Steinschleudern und Frauen mit Kübeln voller Steine. Andere feuerten die SA-Leute zu weiteren Gewalttaten an den bereits geschundenen Menschen an. Rabbiner wurden an den Bärten gerissen, alte Juden mussten Liegestütze oder Kniebeugen machen, und wenn sie kraftlos hinsanken, wurden sie mit Stiefeln getreten. HJ-Burschen und SA-Leute urinierten unter dem Gejohle der Menge auf ausgebreitete Torah-Rollen und führten Freudentänze auf den Heiligen Schriften auf. Kultgegenstände wurden zerstört. Auch die Kinder beteiligten sich; es war für sie wie ein Schlaraffenland. Sie brachen in Zuckerlgeschäfte und Spielwarengeschäfte der Juden ein und nahmen, was ihnen gefiel. In der Herminengasse wurde unter Freudenrufen der Gaffer ein Scheiterhaufen aus Torah-Rollen, Talmud-Folianten und Gebetbüchern entzündet.
Der große Stadttempel in der Seitenstettengasse im 1. Bezirk wurde wegen der angrenzenden nichtjüdischen Gebäude nicht zerstört, aber innen unter Führung Adolf Eichmanns komplett verwüstet. Im 3. Bezirk leitete Otto Skorzeny, der spätere Befreier Benito Mussolinis, die Zerstörung von Bethäusern und Synagogen. Die Polizei war angewiesen, nicht einzuschreiten; die Feuerwehr löschte nur, wenn Brandgefahr für nichtjüdische Einrichtungen drohte.
Im gesamten Deutschen Reich wurden 35.000 Juden unter Hohn, Spott, Fußtritten, Peitschenhieben und äußerster Brutalität verhaftet, gequält und in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen, Buchenwald und Oranienburg gebracht. Die unbeschreiblichen Grausamkeiten im KZ hat der Historiker Eugen Kogon dokumentiert: „Menschen wurden zu Tode geprügelt, mussten nächtelang in der Kälte am Appellplatz stehen, sodass Gliedmaßen abfroren. Mit bloßen Händen mussten sie den Schnee im Lager räumen, Notamputationen der erfrorenen Gliedmaßen verweigerten SS-Ärzte im KZ Buchenwald: ,Für Juden werden nur Totenscheine ausgestellt. Das KZ ist kein Sanatorium, sondern ein Friedhof.‘“ Zahlreiche Juden sahen in dieser Situation keinen anderen Ausweg als Suizid.
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Als der spätere Vizekanzler und SPÖ-Chef Bruno Pittermann mit seiner jüdischen Gattin, von der er sich nicht scheiden ließ und die durch ihren arischen Ehemann geschützt war, am Tag nach der Reichskristallnacht Adolf Schärf und seine Frau besuchte und sich schockiert zeigten, meinte der spätere Bundespräsident: „Was auch immer Nichtjuden Juden antun, ist nicht so schlimm wie das, was Juden Nichtjuden antun.“
NS-Generalfeldmarschall Hermann Göring war über die Zerstörung wichtiger Wirtschaftsgüter empört und sagte zu General Reinhard Heydrich: „Es wäre besser gewesen, zweihundert Juden mehr umzubringen, als solchen wirtschaftlichen Schaden anzurichten.“ In einer Sitzung der NS-Größen am 12. November im Reichsluftfahrtministerium wurde beschlossen, die Juden zur Gänze aus dem Wirtschaftsleben auszuschließen und das Deutsche Reich „judenrein“ zu machen. Ihnen wurde eine Sühneleistung von einer Milliarde Reichsmark für die Pogromschäden auferlegt; viele Geschäftslokale gehörten Ariern, die Juden waren nur Mieter. De facto finanzierten sie mit der Sühneleistung die auch gegen sie gerichteten Kriegsvorbereitungen mit. Die ausbezahlten Versicherungssummen betrugen etwa 250 Millionen Reichsmark. Die belgische Glasproduktion lief auf Hochtouren, da Deutschland mangels Rohstoffen selbst nicht genug Glas herstellen konnte.
Auf der Flucht eingeholt
Die Auswanderung der Juden wurde forciert; nach etwa vier bis sechs Monaten kamen KZ-Häftlinge frei, wenn sie erklärten, unter Zurücklassung ihres Vermögens Deutschland in kürzester Zeit zu verlassen. Görings Devise lautete: „Der Jud muss weg, sein Gerstl bleibt da.“ Für viele war es nur eine Flucht auf Zeit, denn mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kamen sie in den Ländern, in denen sie gelandet waren, wieder in die Gewalt der Nationalsozialisten.
So erging es auch Benno Kerns Familie, die erst illegal nach Belgien zu Verwandten flüchtete. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen ging es mit vielen Hürden weiter ins besetzte Frankreich, bis sie ins Vichy-Frankreich gelangte und hoffte, endlich frei zu sein – ein Irrtum, denn die französische Polizei lieferte Juden, die keine Franzosen waren, an die Gestapo aus. Familie Kern landete in Auschwitz, wo nur Benno und sein Vater überlebten. Auf dem Todesmarsch von Auschwitz ins KZ Buchenwald, wo von rund 6.000 Juden nur rund 600 lebend ankamen, starb auch Bennos Vater.
Großbritannien nahm 10.000 jüdische Kinder auf. Vielen Juden gelang es, nach Shanghai oder Südamerika zu entkommen, vielfach durch Bestechung der Konsularbeamten. Die USA hingegen lehnten mehr als 120.000 jüdische Einreiseanträge ab. Außenminister Cordell Hull und Unterstaatssekretär Breckinridge Long wiesen die Konsularbeamten an, Visa-Ausstellungen mit allerlei Ausflüchten zu verzögern, um die Menschen zu demoralisieren. Nächtelang bildeten sich Schlangen vor den Konsulaten, die von antisemitischen Schlägertrupps drangsaliert wurden. Punkt 12 Uhr schlossen die Konsulate, und nur ein Bruchteil der Wartenden bekam Visa. Hull verhinderte unter anderem die Einreise von rund 20.000 jüdischen Kindern in die USA. Long verheimlichte Informationen über die Vernichtung der polnischen und russischen Juden. Er gab falsche Informationen an die US-Medien und bezeichnete Berichte über Vergasungen als überzogene jüdische Propaganda. Er sabotierte jahrelang Rettungsbemühungen und sorgte dafür, dass selbst die geringen jährlichen Einreisequoten für Juden nicht ausgeschöpft wurden.
Das Schweigen der Kirchen
Kein hochrangiger Vertreter einer christlichen Kirche protestierte öffentlich gegen die Judenverfolgung. Weder der Boykott am 1. April 1933 noch die Nürnberger Rassengesetze vom 15. September 1935 oder das Novemberpogrom 1938 bewirkten ein Engagement für die Verfolgten und Ausgegrenzten. Der evangelische Bischof Otto Dibelius begrüßte gar die Ausschaltung der Juden mit dem Hinweis, dass am 10. November der Geburtstag Martin Luthers gefeiert werde; darin liege eine Symbolik, da Luther das Judentum bekämpft und die Juden als Feinde Christi bezeichnet habe. Auch prominente Repräsentanten der katholischen Kirche schwiegen. Sie waren teils ebenfalls vom Antijudaismus des augustinischen Weltbildes geprägt.
Lediglich der Berliner Domprobst Bernhard Lichtenberg betete öffentlich für die Juden und protestierte von der Kanzel gegen die Pogromnacht: „Brennende Synagogen sind brennende Gotteshäuser.“ Auf protestantischer Seite nahmen Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller und Martin Gollwitzer in Fürbitten, Gebeten und Predigten öffentlich für die Verfolgten Stellung. Empathie für die Juden war aber insgesamt selten. Es gab jedoch auch immer wieder Menschen, die Zivilcourage zeigten und trotz aller Gefahren jüdischen Freunden und Nachbarn halfen. Ein leuchtendes Beispiel war die Autorin Irene Harand. Deren Einsatz gegen Hitler und den Nationalsozialismus und für die Juden schildert Erika Weinzierl in ihrem Buch „Zu wenig Gerechte“.
Die Auswanderung der Juden unter Zurücklassung ihres Vermögens führte der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in der Zentralstelle für Auswanderung im ehemaligen Rothschild-Palais in Wien rigoros und effizient durch. Von 1938 bis 1939 emigrierten etwa 125.000 österreichische Juden, während von 1933 bis 1938 nur 18.000 Juden das Deutsche Reich verließen. Nach dem Pogrom verstärkte sich auch die Auswanderung der deutschen Juden. Besitzlos und ausgeplündert, konnten sie nur ihr nacktes Leben retten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde diese Auswanderung dann gestoppt und die „Endlösung“ favorisiert. Das Novemberpogrom war somit Auftakt und Fanal der Shoah mit sechs Millionen ermordeten Juden.
Fritz Rubin-Bittmann wurde 1944 in Wien als Sohn jüdischer Eltern geboren und überlebte als „U-Boot“. Er ist Arzt für Allgemeinmedizin (2016 mit dem Berufstitel Professor ausgezeichnet) und hat zu Zeitgeschichte und Religionsphilosophie publiziert.